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TEXTES

Der Atem der Bilder.

Ein wichtiges Merkmal der Gemälde von Barbara Dasnoy ist die klare Ablesbarkeit der verschiedenen Elemente. Das Davor und Dahinter von Flächen und Linien, die Abfolge der bildlichen Ebenen und malerischen Setzungen, all das gibt sich dem aufmerksamen Blick offen zu erkennen, nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass die Künstlerin ihre bildbestimmenden, dynamischen, mit extrabreiten Flachpinseln aufgetragenen horizontalen und vertikalen Streifen stets mit stark verdünnter Farbe ausführt. Auch die monochromen Übermalungen großer Partien des Gesamtbildes, die sie gelegentlich vornimmt, erfolgen in einer semitransparenten Lasurschicht. So bleiben nicht nur in den Lücken zwischen den Rasterformen oder den geometrisch abgegrenzten Sichtfenstern, die Dasnoy als „Kartuschen“ bezeichnet, sondern eben auch durch die dünnen Farbschichten hindurch frühere Zustände und Phasen des Bildaufbaus zumindest partiell sichtbar und damit für die Gesamtwirkung der Bilder präsent. Auf diese Weise bringen diese Gemälde nicht nur ihre ganz eigene Bildräumlichkeit hervor, sondern werden zugleich als eine Verdichtung von Zeit erlebbar. („Verdichtung“ ist, auch im formalen Sinne des gedrängten Neben- und Übereinanders der Pinselzüge, ein von der Künstlerin gerne verwendetes Wort, mit dem sie ihre Arbeitsweise erläutert).


II.

Unter dem Aspekt der zeitlichen Verdichtung sind auch die drei kleineren und sechs größeren Collagen zu betrachten, mit denen sich Barbara Dasnoy über den spezifischen Ausstellungsort, die Ferme de Flagey, Rechenschaft ablegt und – damit unmittelbar verbunden – über das Werk von Gustave Courbet sowie die in zahlreichen seiner Bilder auf unverwechselbare Weise zur Anschauung kommende Landschaft der Franche-Comté. So sehr sich auch die formalen Mittel von Dasnoys Collagen von denen ihrer Malerei unterscheiden, in der Thematisierung von Zeit-Schichten sind sie miteinander vergleichbar. Die Künstlerin nähert sich Gustave Courbet, einem Maler, mit dessen Werk ihr eigenes nur wenige Berührungspunkte hat, nicht im Sinne einer kunsthistorischen Analyse, sondern dadurch, dass sie zahlreiche Facetten aus Erinnerungen, Wissen, Entdeckungen und subjektiven Assoziationen aufblättert und in formal geregelten Montagen zueinander in Beziehung setzt. Ausgangspunkte dafür sind unter anderen sechs elliptische, ein wenig an japanische Haiku erinnernde Gedichte sowie kurze Texte des Autors Jacques Motredon, mit dem die Künstlerin seit langem befreundet ist, sowie Courbets 1864 entstandenes Gemälde „Die Eiche von Flagey“, das sich seit dem 19. September 2012 im Besitz des Musée Courbet in Ornans befindet. Wenn man bedenkt, dass Courbet dieses Bild auch als „Die Eiche des Vercingetorix“ ausgestellt hat, wobei diese historische Reminiszenz zudem gleichnishaft auf Courbets politische Haltung, seine vehemente Ablehnung der Herrschaft Napoleons III., zielt, wird deutlich, dass selbst in diesem vermeintlich realistischen Naturbild heterogene Zeit- und Bedeutungsschichten einander überlagern. Umso passender ist es, dass Barbara Dasnoy in ihren Collagen mehrfach die Umrisse eines römischen Gedenksteins zitiert, die antike Form eines Zeit- und Gedächtnisspeichers. Als Künstlerin, die aus Deutschland stammt und seit über vier Jahrzehnten in Frankreich lebt, interessiert sie sich besonders für die Rezeption Courbets in Deutschland. Courbet hielt sich nicht nur häufig in Deutschland auf, wo er frühzeitig Erfolg hatte, er ist dort auch in besonderer Weise, nämlich durch die Brille der romantischen deutschen Landschaftsmalerei hindurch wahrgenommen worden. So setzt Dasnoy Courbet mit dem „deutschesten“ aller Maler, mit Albrecht Dürer, in Verbindung, zitiert dessen 1514 gemaltes Aquarell „Kopf eines Rehbocks“ als Pendant zu Courbets Jagdmotiven und stellt Fotokopien gemalter Baumgruppen beider Künstler nebeneinander. Immer begleitet von den Texten Montredons, die sich auf die Region um Ornans beziehen, entfaltet sich ein reiches Geflecht an Bezügen und Erinnerungen. Mit Collage-, Abklatsch- und Frottageverfahren benutzt Dasnoy ganz bewusst Bildtechniken des Surrealismus, die stark auf die Imaginations- und Assoziationsfähigkeit des Betrachters einwirken. Die in Frottagemanier festgehaltene Maserung von Eichenholz verweist nicht nur auf Courbets „Eiche von Flagey“, sondern lässt unvermeidlich an die berühmte Legende denken, der zufolge Max Ernst 1925 in einem Gasthof in der Bretagne „eine Erleuchtung beim Anblick des hölzernen Fußbodens“ gekommen sei, woraufhin er die Frottagetechnik erfunden habe. Im Nahblick auf einige Farbstrukturen im Zentrum von Courbets „Der Windstoß“ von 1855 findet Dasnoy denn auch Formen, die auf frappierende Weise Max Ernsts düstere, oft von erstarrten Figuren durchsetzte „Wälder“ vorwegzunehmen scheinen.


III.

Die Aussage, Barbara Dasnoy lege die Schichten ihrer malerischen Prozesse stets offen, bedarf einer Präzisierung, denn der Ausgangspunkt aller ihrer Gemälde, ihr erster Arbeitsschritt auf dem Weg zur Bildgestalt, bleibt dem Betrachter durchaus verborgen. Er zeigt sich nur in wenigen Bildern direkt und auch dort allenfalls in kargen Spuren. Wer das Glück und das Vergnügen hat, einen Blick in die tagebuchartigen Arbeitskladden und -alben der Künstlerin werfen zu können, wird dort zahlreiche Hinweise finden. Es ist keine kleine Überraschung, wenn man bemerkt, dass allen ihren Bildern ein gegenständliches Motiv zugrunde liegt, das sie mit knappen Kreidestrichen skizzenhaft fixiert, bevor sie mit der Malerei beginnt. Dabei handelt es sich stets um zwei Torsi, den eines Mannes und den einer Frau. Das Paar, anders gesagt: die erotische Urspannung der Geschlechterdifferenz, ist die Grundlage aller ihrer Bilder. Und man könnte sagen, dass sich diese Spannung beim Malen in eine farbliche und formale Spannung übersetzt. Barbara Dasnoy arbeitet stets mit der Kombination aus Tempera- und Ölmalerei. Bei der Temperaschicht, die auf die weiße Grundierung aufgetragen wird, handelt es sich seit etwa 2011 stets um eine begrifflich schwer zu bestimmende Mischfarbe aus Rot und Blau – kein Violett, wie man erwarten würde, sondern eher ein rötliches Braun, das aber bei kleinsten Änderungen der Abmischung (oder auch schon aufgrund der natürlichen Variabilität der Pigmentbeschaffenheit) unendlich viele Nuancierungen zulässt und sich immer auf dem schmalen Grat zwischen kühler und warmer Farbtemperatur bewegt. Neben diesem farblichen ist es das formale Spannungsverhältnis im Mit- und Gegeneinander von (ungefähr) vertikalen und horizontalen Linien, das alle Bilder Dasnoys mehr oder minder deutlich prägt. So bauen sich ihre Bilder also stets aus Gegensätzen und Spannungsverhältnissen auf: dem skizzenhaften Ausgangsmotiv des gegengeschlechtlichen Figurenpaars, der Untermalung in Blau-Rot, dem Gegensatz von wässriger Tempera und fetter Ölfarbe, der Überlagerung von vertikalen und horizontalen Bildelementen.



IV.

Weiß ist die Farbe, aus der in sehr vielen Arbeiten von Barbara Dasnoy die dominierende horizontal-vertikale Bildstruktur besteht. Weiß in zarten Nuancen unterschiedlicher Pigmente. Weiß in dynamischer Präsenz der gestisch artikulierten Streifen. Weiß als Überlagerung und Transparenz. An den Spritzern und Rinnspuren lässt sich die dünnflüssige Konsistenz der weißen Ölfarbe sowie der vitale Schwung des Farbauftrags ablesen – eine Dynamik des Malgestus, die unweigerlich das große Format erzwingt, das so typisch ist für die Bilder dieser Künstlerin. An den Farbspuren lässt sich auch erkennen, dass die Gemälde nicht etwa am Boden, sondern aufrecht hängend entstehen und während des Malprozesses nicht gedreht werden. So spürt man das Wirken der Schwerkraft. Diese Malerei hat eine unverkennbar körperliche Präsenz, was sich unter anderem daran zeigt, dass nicht nur die bemalte Vorderfläche zählt, sondern die Farbe immer auch auf die Bildränder, die Seiten des Bildkörpers ausgreift. „Körper, Licht und Schatten“ heißt denn auch in aller Deutlichkeit der übergreifende Titel von Dasnoys jüngster Gemälde-Serie.


V.

Zur Vitalität dieser Bilder gehört, dass ein frischer Wind durch sie hindurchweht, dass sie Offenheit besitzen, dass sie atmen können. „Das Weiß ist der Atem meiner Bilder“, sagt Barbara Dasnoy – und diese Selbstaussage trifft in jeder Hinsicht zu. Die Streifen- und Gitterstrukturen verfestigen sich nie zu virtueller Dinglichkeit oder zu kommandierenden geometrischen Rastern, sie bleiben dynamische Bewegungsspur, sanfte Berührung der gemalten Oberfläche, Garanten eines flirrenden Clair-obscur. Die körperliche Präsenz der Bilder als ein Gegenüber, dem man sich zu stellen hat – sowohl die Künstlerin als auch die Betrachter – macht verständlich, dass Barbara Dasnoy ausschließlich Hochformate malt. Ihre Bilder erstrecken sich, wie der menschliche Körper, vertikal. Das Breitformat erobert sie sich indirekt, indem sie neuerdings das Malen von Diptychen und Triptychen bevorzugt, mehrteilige Gemälde, deren Einzelkomponenten entweder Stoß auf Stoß oder mit geringem Zwischenabstand nebeneinander gehängt werden. In jenem Diptychon mit den gelben Rechtecken etwa, wo sich die dominierenden horizontalen Striche nicht wie sonst üblich über die gesamte Bildbreite erstrecken, sondern in staccatoartigem Rhythmus über die Fläche eilen, ergibt sich ein immaterielles Schimmern wie die Lichtreflexe auf einer bewegten Wasseroberfläche. Die Symmetrie, die hier noch vorherrscht, samt der Landschaftsassoziation, die das Breitformat fast unweigerlich mit sich bringt, bricht die Künstlerin in ihren neuesten Bildern immer kühner auf. Die Breite der Einzeltafeln variiert je nach der malerischen Informationsdichte der einzelnen Komponenten. So wird z. B. die dominierende Gitterstruktur eines ihrer großen Triptychen nicht in der Mitte platziert, sondern nach rechts verlagert. Eine Radikalisierung der Asymmetrie ergibt sich dort, wo Barbara Dasnoy einer horizontal-vertikal geregelten Leinwand samt Kartusche ein monochromes Gegenstück in der erwähnten blau-roten Mischfarbe in Tempera gegenüberstellt, das zudem deutlich kleiner ist als sein Pendant. Das auf offenen, ungrundierten Nesselstoff gemalte Farbfeld weist eine unergründliche Farbtiefe auf und erzeugt einen Resonanzraum, in dem die vielteilig gegliederte Komposition ihres Gegenstücks sanft ausschwingen kann. Man kann es freilich auch umgekehrt sehen, denn die Vorgänge und Empfindungen beim Betrachten der Gemälde sind komplex: dann geht von dem Farbfeld ein das Sehen stimulierender Impuls aus, der sich in der ausdifferenzierten Komposition daneben zu voller Wirksamkeit entfaltet. Die vielen gegenstrebigen, aus formalen Spannungen und Gegensätzen erwachsenden visuellen Bewegungen in den Bildern fordern eine lange, aufmerksame Betrachtung. Die Gemälde von Barbara Dasnoy, die so variantenreich immer wieder mit der Verdichtung von Zeit arbeiten, gewähren in der Anschauung selbst wiederum lebendig erfüllte Zeit.



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